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Schlafmittel

Schlafmittel vor der OP: Worauf achten?

Vor einer OP ist es wichtig, den Ärzten alle eingenommenen Substanzen zu nennen. Dazu gehört auch Rezeptfreies. Motortion Films
Siobhan Weiss

Veröffentlicht von Siobhan Weiss am 14.04.2020

Viele Menschen zweifeln die Wirkung von rezeptfreien Schlafmitteln an. In folgendem Text geht es darum, welche erwiesenermaßen wirksam sind und worauf man bei ihrer Einnahme vor Operationen achten sollte.

Seit ich Medizin studiere, habe ich schon zahlreiche Patientinnen und Patienten gesehen. Eine von ihnen ist Frau Müller (Name geändert). Ich lerne Frau Müller kennen, als ich in der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie arbeite.

Die Vorgeschichte der Patientin ist nicht ungewöhnlich: 82 Jahre alt und seit einigen Jahren an Diabetes erkrankt. Außerdem ist sie wegen ihres Bluthochdrucks in Behandlung. Außer den Medikamenten gegen diese Erkrankungen nimmt sie laut den Aufzeichnungen aus dem ärztlichen Vorgespräch nichts regelmäßig. In die Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie haben wir Frau Müller aufgenommen, weil sie morgen ein neues Hüftgelenk eingesetzt bekommen soll.

Am Abend schauen die zuständige Dienstärztin und ich nochmal bei ihr vorbei um eventuell noch offene Fragen der Patientin für die Operation zu klären. Frau Müller wirkt recht gelassen, sie hat keine Angst vor dem bevorstehenden Eingriff. Trotzdem fragen wir sie, ob sie noch eine Schlafpille braucht. Das gehört für uns zur Routine, da viele Patientinnen und Patienten in der Nacht vor der Operation nicht schlafen können. Doch Frau Müller entgegnet: „Ach nein danke Frau Doktor! Ich nehme doch immer meine Baldrianpillen!“ „Oh, das haben Sie uns im Vorgespräch ja gar nicht erzählt, dass Sie Schlaftabletten nehmen!“

Ist doch nur pflanzlich, Frau Doktor. Wirkt auch nur ganz leicht, dass die mir helfen ist ja sicherlich nur wegen des Placeboeffekts oder so. Sowas interessiert Sie doch nicht!

Diese Situation zeigt mir, wie sehr rezeptfrei erhältliche Schlaftabletten doch noch immer von vielen Menschen unterschätzt werden. Einerseits scheint die Tatsache, dass sie nicht verschreibungspflichtig sind, den Glauben an die Wirkung dieser Pillen stark zu mindern. Andererseits ist vielen nicht bewusst, dass es auch hier nicht zu unterschätzende Neben- und Wechselwirkungen gibt.

Welche rezeptfreien Schlaftmittel darf ich vor der OP verwenden?

Schauen wir uns die schlaffördernden Tabletten und Kapseln an, die im Handel zurzeit ohne Rezept erhältlich sind. Die meisten dieser Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel, deren Wirkung erwiesen ist, enthalten mindestens einen Wirkstoff aus einer dieser drei großen Stoffgruppen:

Melatonin und Stoffe, die im Körper zu Melatonin umgewandelt werden

Melatonin ist eigentlich ein körpereigenes Hormon, welches im Gehirn von der Zirbeldrüse produziert wird. Es wird bei Dunkelheit ausgeschüttet und ist dafür bekannt, unseren Tag-Nacht-Rhythmus zu beeinflussen. Über zwei verschiedene Rezeptoren wirkt es hemmend auf die Gehirnaktivität, steigert seine Durchblutung und sorgt für eine niedrigere Körpertemperatur.

In Bezug auf seine Wirkung als Medikament ist bereits nachgewiesen worden, dass es für tieferen Schlaf und besseres Einschlafen sorgen kann. Diese Studien beobachten eine schlaffördernde Wirkung jedoch nicht bei allen Menschen. Eine positive Wirkung auf den Schlaf konnte oft nur in der Gruppe der über 55 Jahre alten Behandelten und bei Personen mit Jetlag festgestellt werden.

Gehört ihr zu einer dieser beiden Gruppen und habt Schlafprobleme, so könnte es sich lohnen, das Schlafhormon in der Nahrung oder in Form von Schlafkapseln zusätzlich zu sich zu nehmen. Dies ist einerseits möglich, indem ihr vermehrt melatoninhaltige Nahrungsmittel wie Cranberries oder Steinpilze auf den Speiseplan setzt. Abgesehen von den Cranberries, welche sehr hohe Konzentrationen des Schlafhormons enthalten, sind die Mengen in den jeweiligen Lebensmitteln jedoch gering. Daher kann es für einige Personen sinnvoll sein, etwas größere Mengen des Melatonins in Form von Kapseln zu sich zu nehmen.

Vorteile

  • wenige Nebenwirkungen
  • hilft nicht nur beim Einschlafen, sondern verbessert auch die Schlafqualität
  • erhält die natürlichen Schlafphasen besser als verschreibungspflichtige Schlafmittel wie Benzodiazepine
  • nachgewiesene Wirkung bei einzelnen Patientengruppen
  • hilft ab der ersten Anwendung
  • auch als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich, daher nicht apothekenpflichtig

Nachteile

  • in seltenen Fällen Nebenwirkungen, unter anderem: Bauchschmerzen, Sodbrennen, Schwindel, Schweißausbrüche, Sehstörungen, Stimmungsschwankungen
  • aktuellen Studien zufolge hilft es vorallem älteren Menschen und Personen mit Jetlag, Wirkung bei jüngeren gesunden Personen noch nicht nachgewiesen
  • Rauchen und Alkohol schwächen die Wirkung ab
  • Verstärkung der einschläfernden Wirkung von anderen Schlafmitteln und Antidepressiva

Wann ihr Schlafkapseln mit Melatonin nicht einnehmen solltet

  • in Kombination mit dem Antibiotikum Ciprofloxacin oder dem Antidepressivum Fluvoxamin: sie hemmen den Abbau des Melatonins in der Leber, wodurch es zu einem Melatoninüberschuss im Blut kommen kann
  • bei Leber- oder Nierenschwäche
  • bei Autoimmunerkrankungen

Melatonin am Abend vor der OP

Da Melatonin schnell abgebaut wird, spricht nichts dagegen es am Abend vor der OP zu nehmen. Je nachdem, wie früh die OP stattfinden soll, ist jedoch von Retardkapseln abzuraten. Diese setzen das Melatonin langsam über Stunden hinweg frei und brauchen dementsprechend länger, bis sie wieder abgebaut sind. Achtung: Vorherige Absprache mit den Ärzten ist empfohlen.

Antihistaminika vor der OP

Antihistaminika wurden eigentlich als Antiallergika entwickelt. Sie wirken, indem sie bestimmte Histaminrezeptoren blockieren. Dadurch verhindern sie allergietypische Symptome wie Juckreiz, Atemwegsverengung und Rötung der Haut. Antihistaminika der ersten Generation wie Diphenhydramin gelangen jedoch auch ins Gehirn, wo sie durch ihre Bindung an Rezeptoren Müdigkeit verursachen. Daher werden sie gerne als leichte Schlafmittel eingesetzt.

Vorteile

  • Wirkung von mehreren Studien belegt
  • wirkt bei den meisten Patientengruppen
  • hilft gleichzeitig gegen Allergien und Übelkeit
  • hilft ab der ersten Anwendung

Nachteile

  • kann zu Müdigkeit und schlechteren kognitiven Leistungen am Folgetag führen
  • Nebenwirkungen, beispielsweise: Mundtrockenheit, hoher Puls, Appetitzunahme, Schwindel, Übelkeit, Sehstörungen
  • sollte man höchstens zwei Wochen am Stück anwenden

Wann ihr Diphenhydramin nicht nehmen solltet

  • wenn ihr schwanger seid oder stillt
  • zusammen mit Alkohol oder MAO-Hemmern
  • bei verschiedenen Erkrankungen, zum Beispiel: Herz-Rhythmus-Störungen, Epilepsie oder Verengungen im Magen-Darm-Trakt

Antihistaminika am Abend vor der OP

Die Halbwertszeit von Antihistaminika der ersten Generation beläuft sich meistens auf zirka sechs Stunden. Ist die Operation am Morgen des Folgetages, so ist also von ihnen abzuraten. Beginnt eure Operation zu einer späteren Zeit, so lohnt es sich euren behandelnden Ärztinnen und Ärzte vorher zu fragen.

Sesquiterpene: Baldrian vor der OP

Ich las erst vor kurzem das erste Mal von Sesquiterpenen. Doch ich erkannte schnell, dass nur der chemische Fachbegriff neu für mich war. Sesquiterpene gelten zusammen mit Monoterpenen und Alkaloiden als die wichtigsten Wirkstoffe vieler pflanzlicher Schlafpillen und Schlafkapseln. Ihre Wirkung beruht auf einer Vermehrung des hemmenden Neurotransmitters GABA im synaptischen Spalt der Nervenzellen des Gehirns. So wirken sie dämpfend und einschläfernd.

Die meisten Studien im Zusammenhang mit Sesquiterpenen beschäftigen sich mit Baldrian. In diesen Studien konnte herausgefunden werden, dass Baldrian nicht nur beim Einschlafen hilft, sondern auch für einen tieferen Schlaf sorgen kann. Er wirkt jedoch eher nicht bei einmaliger Gabe. Seine volle Wirkung kann er erst entfalten, wenn man ungefähr zwei Wochen am Stück jeden Abend eine Schlafpille einnimmt.

Sesquiterpene sind auch in zahlreichen anderen Pflanzen enthalten, wie zum Beispiel Kamille, Johanniskraut, Melisse und Hopfen. Auch diese Pflanzen bilden Grundlage oder Zusatz für verschiedene rezeptfreie Schlaftabletten.

Vorteile

  • rein pflanzlich
  • nachgewiesene Wirkung bei den meisten Patientengruppen
  • nicht apothekenpflichtig, daher auch in Supermarkt und Drogerie erhältlich

Nachteile

  • Nebenwirkungen, zum Beispiel: Kopfschmerzen, Schwindel, Juckreiz, Magen-Darm-Beschwerden
  • wirkt erst ab zirka zwei Wochen regelmäßiger Einnahme
  • kann die Wirkung von Anästhetika verstärken und sollte daher zwei Wochen vor jeder Operation abgesetzt werden

Wann ihr Sesquiterpene nicht nehmen solltet

  • zwei Wochen vor einer Operation
  • in Schwangerschaft und Stillzeit
  • wenn ihr andere Schlafmittel nehmt

Baldrian und Co. am Abend vor der OP

Baldrian und Co. sollten nicht nur am abend vor der OP sondern auch möglichst zwei Wochen im voraus weggelassen werden.

Fazit

Insgesamt zeigt sich, dass viele rezeptfreie Schlafpillen und -kapseln erwiesenermaßen sehr wirksam sind.

Anders als Frau Müller vermutet ist es sehr wahrscheinlich, dass die schlaffördernde Wirkung ihrer Baldriantabletten nicht nur dem Placeboeffekt zuzuordnen sind. Der Wirkstoff des Baldrians selber hilft ihr wahrscheinlich genug und gut zu schlafen. Dementsprechend sollte sie aber auch nicht etwaige Wechsel- und Nebenwirkungen unterschätzen. So kurz vor der Operation sollte Frau Müller eigentlich keine Baldriantablette mehr zu sich nehmen. Da Baldrian vom Körper langsamer abgebaut wird als andere Schlafpillen, könnte sich am nächsten Morgen noch etwas davon im Blut befinden und mit dem Narkosemittel wechselwirken. Als die Ärztin Frau Müller darüber aufklärt, ist diese erstaunt.

Dann habe habe ich mir ja gar nicht eingebildet, dass meine Baldrianpillen wirklich beim Schlafen helfen!

Im Allgemeinen gilt: Seid ehrlich zu euren Ärzten! Besonders vor einer Operation ist es wichtig, alle eingenommenen Substanzen zu nennen. Dazu gehören auch Alkohol, Drogen, Nahrungsergänzungsmittel, rezeptfreie Tabletten, Tropfen und Co. Denn es gibt viel mehr Neben- und Wechselwirkungen, als man vielleicht denken könnte.

Häufige Fragen zum Artikel

Siobhan Weiss

Medizinstudentin und Schlafexpertin

Siobhan studiert Medizin und möchte sich später auf Neurologie spezialisieren. Ihr großes Interesse für das Thema Schlaf entwickelte sie, als sie sich im Studium mit der Entwicklung des Gehirns auseinandersetzte. Bei besserschlafen.de ist Siobhan dafür zuständig, komplexe medizinische Inhalte so zu erklären, dass jeder sie verstehen kann. So möchte sie ihre Faszination für den menschlichen Körper mit vielen Menschen teilen. In ihrer Freizeit macht Siobhan viel Sport und schläft auch gerne mal aus.

siobhan@besserschlafen.de