Können wir im Schlaf lernen?
In einer im Jahr 2019 veröffentlichten Studie untersuchten die Psychologieprofessorin Katharina Henke und ihre Kollegen Simon Rauch, Mark Alain Züst und Roland West, inwieweit Menschen im Schlaf neue Informationen lernen und verarbeiten können. Den teilnehmenden Personen wurden während des Tiefschlafs mehrere Begriffspaare vorgespielt. Dabei handelte es sich jeweils um ein deutsches Wort, sowie um ein Fantasiewort, das keine Bedeutung im Deutschen hat.
Im Anschluss an ein Nickerchen, in dem ihnen die Wörter vorgespielt wurden, mussten die Probanden angeben, ob es sich bei dem Fantasiewort um einen Gegenstand handelt, der in einen Schuhkarton passt oder nicht. Beispiele für die verwendeten Begriffspaare waren etwa “Guga-Vogel” oder “Tofa-Haus”.
Die Forschenden stellen fest, dass Menschen in bestimmten Schlafphasen Fantasiebegriffe mit deutschen Wörtern verknüpfen und nach dem Aufwachen deren Bedeutung reproduzieren können. Dieser Prozess erfolge jedoch lediglich in Schlafphasen, in denen das Gehirn besonders aktiv ist. Nur wenn langsame Delta-Wellen (slow waves) messbar sind, findet die Aufnahme neuer Informationen erfolgreich statt. Während des Tiefschlafes wechseln sich Aktivität und Inaktivität verschiedener Gehirnareale ab.
Nur wenn langsame Delta-Wellen (slow waves) messbar sind, findet die Aufnahme neuer Informationen erfolgreich statt.
In dem Experiment wurde die Gehirnaktivität der Probanden mithilfe eines EEG-Gerätes ermittelt und die Wiederholungssequenzen der Begriffspaare entsprechend angepasst.
Um sicherzustellen, dass die Probanden die Begriffe nicht bewusst abspeichern, wurden sie erst nach der Durchführung des Experimentes darüber informiert, dass eine akustische Stimulation stattgefunden hat. Da die Teilnehmenden keine Auskunft über gehörte Klänge während des Schlafens geben konnten, scheint die unbewusste Aufnahme der neuen Informationen erfolgreich gewesen zu sein.
In ihrer Publikation hinterfragen die Wissenschaftler, ob von vollkommen unbewusster Wahrnehmung gesprochen werden kann, wenn sich bestimmte Teile des Gehirns während der Durchführung im Wachzustand befinden. Sie schließen jedoch darauf, dass diese Wachzustände viel zu kurz sind, um einer bewussten Erfahrung nahezukommen.
Wie kann ‘Lernen im Schlaf’ genutzt werden?
Wir können zunächst davon ausgehen, dass Lernen im Schlaf nur unter bestimmten Voraussetzungen funktioniert. Wünschen wir uns mehr Erfolg beim Lernen für Beruf, Studium oder Schule, reicht es nicht, uns im Schlaf mit neuen Informationen zu überhäufen. Da wir nicht genau wissen, zu welchem Zeitpunkt unser Gehirn im Schlaf aufnahmefähig ist, könnte die Informationsaufnahme erfolglos bleiben, da wir nicht über das notwendige Equipment verfügen, um die Aktivität unseres Gehirns zu überprüfen. Ein gewisser Lerneffekt ist jedoch zu erwarten. Es wird davon ausgegangen, dass Säuglinge einen Teil ihres Sprachverständnisses bereits im Schlaf ausbilden, da Eindrücke aus der Umgebung mit Sprachlauten verknüpft werden, wenn sie sich in Gesellschaft befinden.
Bei Lernschwierigkeiten könnte laut den Forschenden eine zweigleisige Strategie hilfreich sein. Im Wachzustand erlerntes Wissen kann durch die Wiederholung im Schlaf vertieft werden. Negative Folgen der nächtlichen Wissensanhäufungen sind jedoch nicht erforscht. Es sollte darauf geachtet werden, dass die Schlafqualität nicht unter den akustischen Reizen leidet und dass keine zu hohen Erwartungen an das nächtliche Lernen gestellt werden. Schlaf sollte in erster Linie dazu dienen, zur Ruhe zu kommen und verbrauchte Energiereserven wieder aufzutanken. Es sollte vor allem darauf geachtet werden, dass die Aufnahme von Informationen tagsüber problemlos erfolgen kann. Mit ausreichendem und erholsamem Schlaf ist eine gute Voraussetzung dafür geschaffen.
‘Lernen im Schlaf’ ist ein spannendes Konzept, das uns in naher Zukunft sicherlich noch eingehender beschäftigen wird. Möglicherweise lassen sich neue Lerntechniken entwickeln, mit denen Informationen im Schlaf leichter aufgenommen werden können. Die Studie von Henke et al. liefert einen ersten Schritt in diese Richtung.
Häufige Fragen zum Artikel
Ja. In den besonders aktiven Phasen des Gehirns, in denen langsame Delta-Wellen messbar sind, können äußere Reize unbewusst verarbeitet und als neue Informationen abgespeichert werden. Wie abrufbar und langanhaltend diese sind, ist jedoch nicht immer klar.
Säuglinge verarbeiten im Schlaf bereits wahrgenommene Eindrücke und nehmen in wechselnden Umgebungen und verschiedenen sozialen Situationen neue Informationen auf. Lautäußerungen werden mit der Zeit in verschiedenen Kontexten wiedererkannt und es entwickelt sich ein Verständnis für ihre Verwendung.
Grundsätzlich ist es möglich, im Schlaf neue Informationen aufzunehmen, das Gehirn ist jedoch nur in bestimmten Phasen aufnahmefähig. Lernen im Schlaf sollte daher nur unterstützend angewandt werden und funktioniert nicht als alleinige Lernmethode.