Schichtarbeit gehört für viele Menschen zum Alltag. Im Jahr 2017 arbeiteten deutschlandweit 15,3 Prozent der 15 bis 64 jährigen Arbeitnehmer in Schichtarbeit. Schlafstörungen und gesundheitliche Schäden sind oftmals die Folge.
Schichtarbeit gehört für viele Menschen zum Alltag. Im Jahr 2017 arbeiteten deutschlandweit 15,3 Prozent der 15 bis 64 jährigen Arbeitnehmer in Schichtarbeit. Schlafstörungen und gesundheitliche Schäden sind oftmals die Folge.
Der Geruch von frisch gebrühtem Kaffee liegt in der Luft. Es ist halb neun am Abend, draußen ist es dunkel. Seit einer Stunde ist Martin wach und bereitet sich auf die Arbeit vor. Er packt seinen Rucksack, schmiert sich Käsebrote und schaut dabei immer wieder auf die Küchenuhr. Seine Nachtschicht beginnt um zehn Uhr. Seit über dreißig Jahren arbeitet Martin im Schichtdienst. Der 59-Jährige ist als Elektriker in einem Betonwerk angestellt. Während andere ihren Feierabend genießen oder bereits im Bett liegen, beginnt sein Arbeitstag erst.
Seitdem ich 22 bin, arbeite ich im Schichtdienst. Ich kenne es also nicht anders und kann es mir mittlerweile auch nicht mehr anders vorstellen. Natürlich freue ich mich aber dann besonders, wenn ich mal ein Wochenende frei habe und die Zeit mit meinen Kindern verbringen kann.
Ob in Industriebetrieben, im Handwerk, in Krankenhäusern, im Pflege – und Rettungsdienst oder bei der Feuerwehr: In vielen Branchen gehört Schicht- oder Nachtarbeit zum Standard.
Zwei-Schicht-Modell
Dieses Modell besteht in der Regel aus einer Früh – und einer Spätschicht. Die Arbeitszeit beträgt jeweils acht Stunden.
Drei-Schicht-Modell
Dieses Modell besteht in der Regel aus einer Früh – , Spät – und Nachtschicht. Die Arbeitszeit beträgt jeweils acht Stunden. Bei Betrieben mit einem Drei-Schicht-Modell handelt es sich meist um ein „vollkontinuierliches Schichtsystem“ („Vollkonti“). In Betrieben mit einem Vollkonti-Schichtsystem wird rund um die Uhr gearbeitet. Der Betrieb läuft demnach 24 Stunden pro Tag an sieben Tagen in der Woche.
Vier – oder Fünf-Schicht-Modell
Dieses Modell kommt ebenfalls in Betrieben mit einem Vollkonti-Schichtsystem zum Einsatz. Wenn tariflich gesonderte Arbeitszeiten geregelt sind und ein Drei-Schicht-Modell nicht funktioniert, tritt das Vier – oder Fünf-Schicht-Modell in Kraft.
Martin arbeitet im Drei-Schicht-Modell. Seine Frühschicht geht von 6 bis 14 Uhr, die Spätschicht von 14 bis 22 Uhr und seine Nachtschicht von 22 bis 6 Uhr.
„Die Spätschicht ist bei mir und meinen Kollegen verhasst. Da hast du einfach nichts vom Tag, aber auch der Abend ist dahin. Aber was soll ich sagen: Ich bin zum Glück noch gesund und hab einen sicheren Job. Das kann auch nicht jeder von sich behaupten. Und bis zur Rente ist es ja auch nicht mehr lange.“
Während Martin mit 59 Jahren den Großteil seiner Arbeitsjahre hinter sich hat und sich auf die Rente freut, steht die 31-jährige Esra noch am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn. Die gelernte Fremdsprachen-Korrespondentin hat nach ihrer Ausbildung erfolglos nach einem Job in ihrer Branche gesucht. Gerade in Großstädten ist der Arbeitsmarkt hart umkämpft. Die Zahl der Hochschulabsolventen steigt jährlich an. In 2016 verabschiedeten deutsche Hochschulen beinahe eine halbe Millionen Absolventen in die Arbeitswelt. Esra schlug sich von einem befristeten Job zum nächsten, nahm Minijobs an und arbeitete in Zeitarbeit. Ihre Sehnsucht nach Sicherheit im Beruf bewegte die Berlinerin schließlich zu einem Berufswechsel.
Heute, drei Jahre nach ihrer Ausbildung zur Servicekauffrau im Luftverkehr, arbeitet sie an einem Berliner Flughafen. Ihr Arbeitsvertrag ist zwar unbefristet und mit ihren Kollegen pflegt sie ein freundschaftliches Verhältnis, doch dafür bestimmen wechselnde Schichten nun ihren Alltag. Ihr Arbeitsplan richtet sich nach den aktuellen Flugplänen. Mal beginnt ihr Arbeitstag um fünf Uhr am frühen Morgen, ein anderes Mal arbeitet sie bis elf Uhr in der Nacht. Auch das Arbeiten am Wochenende oder an Feiertagen gehört für Esra zum Arbeitsalltag. Es ist ein Kompromiss, den sie, wie sie sagt, eingehen musste. Müdigkeit und immer wiederkehrende Schlafstörungen sind ihre leidvollen Begleiter:
Das Problem ist, dass man gegen seinen natürlichen Schlafrhythmus arbeitet und lebt. Erholung und Schlaf bleiben einfach auf der Strecke und dieser Stress lässt mich nachts oft nur schwer einschlafen.
Zwischen 70 und 90 Prozent der schichtarbeitenden Menschen klagen über Schlafstörungen.
Im Handbuch der Arbeitsmedizin heißt es:
Die wesentliche Ursache für die Belastung von Schichtarbeitern durch das Arbeiten zu wechselnden Tageszeiten besteht darin, dass sie zeitversetzt zu ihrer endogenen Zirkadianrhythmik aktiv sein bzw. schlafen müssen.
Diese Verschiebung wird in der Neurowissenschaft als Desynchronisierung bezeichnet. Unser natürlicher und zugleich wichtigster Zeitgeber ist der Tag-Nacht –, beziehungsweise Hell-Dunkel-Rhythmus. Andere Zeitgeber sind Arbeit und Freizeit, Schlafen und Wachen, Aktivität und Erholung und regelmäßige Mahlzeiten. Diese Zeitgeber haben einen Einfluss auf innere zirkadiane Rhythmen (zum Beispiel Körpertemperatur, Müdigkeit, Herzfrequenz, Blutdruck oder Hormonausschüttung).
Bei schichtarbeitenden Menschen stehen Arbeitszeiten nun im Konflikt mit dem natürlichen Hell-Dunkel – , beziehungsweise Tag-Nacht-Rhythmus. Wechselschichten, aber vor allem Früh – und Nachtschichten bedeuten ein Arbeiten gegen die innere Uhr und äußere Zeitgeber.
Dann, wenn die Umwelt durch Dunkelheit Nacht einläutet und die innere Uhr den Organen und körperlichen Vorgängen Ruhe diktiert, beginnt der schichtarbeitende Mensch seine Arbeit oder befindet sich bereits mittendrin. Andersherum: Wenn die Umwelt durch Licht den Tag einläutet und die innere Uhr auf Aktivität und Wachsein umstellt, beginnt der Feierabend oder gar die Schlafphase des Schichtarbeitenden. Dies ist bei Nachtschichten und Frühschichten, die zum Beispiel um zwei Uhr nachts beginnen, der Fall. Der Wechsel zwischen Nacht – und Frühschicht stellt eine zusätzliche Belastung dar.
Der Konflikt zwischen innerer Uhr und den äußeren Lebensumständen eines schichtarbeitenden Menschen geht in vielen Fällen mit Schlafstörungen und einer erhöhten Tagesmüdigkeit einher. Der Schlaf wird meist als nicht erholsam empfunden. Betroffene klagen über zirkadiane Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen. Das heißt sie können nicht schlafen, wenn sie schlafen möchten oder Schlaf erforderlich ist. Ferner haben sie Schwierigkeiten wach zu werden, wenn Wachsein erforderlich ist. Gerade die äußeren Umstände am Tag, wie zum Beispiel ein erhöhter Geräuschpegel, erschweren den Einschlafprozess und die Schlafqualität zusätzlich. Ein – und Durchschlafprobleme, sowie Tagesmüdigkeit erschweren den Alltag von schichtarbeitenden Menschen.
Grundsätzlich können Schlafstörungen auf diverse Ursachen zurückgeführt werden. Manchmal sind sie auf ein Zusammenspiel mehrerer Ursachen zurückzuführen. Psychische Erkrankungen, eine medikamentöse Behandlung oder Schlafkrankheiten können Gründe für Schlafstörungen sein. Liegen die Schlafstörungen über einen längeren Zeitraum (mindestens ein Monat) vor, ist die Konsultierung eines Arztes ratsam. Können andere Einflussfaktoren, wie zum Beispiel eine zugrundeliegende Erkrankung, ausgeschlossen werden und ist ein Zusammenhang zu wechselnden Arbeitsschichten erkennbar, spricht man von dem sogenannten Schichtarbeitersyndrom. Beim Schichtarbeitersyndrom handelt es sich um eine nichtorganische Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus.
Nacht – und Wechselschichten führen zudem zu einem erhöhten Unfallrisiko am Arbeitsplatz. Der Grund: Mangelnde Regeneration aufgrund zu kurzer Schlafdauer. Diese führt zu Müdigkeit und Konzentrationsschwäche. Zudem vermuten Schlafforscher und Mediziner einen Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und der Entstehung weiterer Erkrankungen. Gemeint sind hier vor allem kardiovaskuläre Erkrankungen (das Herz-Kreislauf-System betreffend), zerebrovaskuläre Erkrankungen (die Blutgefäße des Gehirns, Hirnarterien – oder Venen, betreffend) und Krebserkrankungen. Zahlreiche Studien, die diesen Zusammenhang untersuchten, ließen jedoch keine eindeutigen Rückschlüsse zu. Zukünftige wissenschaftliche Studien bleiben also von Interesse.
Das Arbeiten im Schichtdienst hat nicht nur Auswirkungen auf die Gesundheit, sondern auch auf das Sozial – und Privatleben. Man spricht hier von sozialer Desynchronisation: Die Arbeitszeiten kollidieren mit den zeitlichen Gewohnheiten des sozialen Umfelds. Kulturelle Veranstaltungen, sportliche Aktivitäten, Hobbies, Zeit mit der Familie und den Freunden sind für die psychische und demnach auch körperliche Gesundheit von großer Wichtigkeit. Das Leben außerhalb der Arbeit sollte immer einen Ausgleich zum Arbeits – und Leistungssystem darstellen und psychische, wie auch körperliche Regeneration bedeuten. Die Teilnahme an eben solchen sozialen Aktivitäten ist bei schichtarbeitenden Menschen deutlich eingeschränkt. Insbesondere das Arbeiten am Wochenende und an Feiertagen kann eine hohe Belastung darstellen und das familiäre Leben einschränken.
Esra ist Mutter einer 18 Monate jungen Tochter. Der Wiedereinstieg in den Schichtdienst fiel ihr nach der Elternzeit sehr schwer. Sie und ihr Ehemann hatten rechtzeitig einen Kitaplatz für ihre Tochter gefunden und auch die Eingewöhnung in den Kita-Alltag klappte gut. Doch verlangten ihre wechselnden Schichten zusätzliches Organisationstalent und die Hilfe der liebevollen Großeltern.
Die Kita hat bis 17 Uhr geöffnet. Da ich es aufgrund meiner Arbeitszeiten oft nicht schaffe, ist es in der Regel mein Mann, der unsere Tochter abholt. Wenn er mal länger arbeitet, springen meine Eltern ein. Ohne ihre Hilfe, wäre vieles nicht machbar. Es ist auf jeden Fall anstrengend. In der Elternzeit war ich 24 Stunden am Tag mit meiner Tochter zusammen. Diese Zeit habe ich sehr genossen. Jetzt bleibt nach dem Feierabend nur noch sehr wenig Zeit und das bedrückende Gefühl etwas zu verpassen. Schlaf und Erholung werden zweitrangig.
Das Schichtsystem ist kein neues Arbeitsmodell. In vielen Branchen ist Schichtarbeit notwendig und unerlässlich. So zum Beispiel in Krankenhäusern, bei der Feuerwehr oder im Pflege – und Rettungsdienst. Hier ist eine kontinuierlicher Arbeitseinsatz notwendig, um eine Versorgung rund um die Uhr zu ermöglichen. In vielen anderen Branchen geht es jedoch um ein wirtschaftliches Streben nach weniger Kosten und mehr Gewinn. Getrieben von hohem Wettbewerbsdruck verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeits – und Freizeit zunehmend. Immer mehr Arbeitnehmer arbeiten mit atypischen Arbeitszeiten oder in diversen Schichtmodellen. Dazu gehört das Arbeiten an Wochenenden, in der Nacht oder auch an Feiertagen. Der Schlaf, der als Rückzugsort eine wesentliche Rolle in der Regeneration des Menschen spielt, leidet in den meisten Fällen als Erstes.
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