Schlafwandeln – Begriff und Mythos
Schlafwandeln, medizinisch als Somnambulismus (von lateinisch „Schlaf“ und „Spazieren“) oder historisch als Mondsucht bekannt, ist eine Schlafstörung die zur Gruppe der Parasomnien gehört und das schlafende Umherwandeln bei Nacht bezeichnet.
Eine eigentlich harmlose Schlafstörung die für manche Betroffene, glaubt man verschiedenen Berichten, zu einer gefahrvollen Nachtwanderung werden kann. Schlafend aus dem Fenster steigen, Auto fahren, den Partner betrügen oder sogar einen Mord begehen, es scheint nichts zu geben was man nicht auch schlafend machen könnte.
Filme wie „Schlafwandeln unter Nachbarn“ haben sich genau diese Geschichten zum Thema gemacht und damit ein Millionenpublikum erreicht.
Hier nun, was es wirklich mit der Krankheit auf sich hat und welche Mythen wahr sind.
Häufigkeit und Ursachen des Schlafwandelns
15 bis 30 Prozent aller Kinder haben zumindest eine Episode von Schlafwandeln, bei drei bis vier Prozent tritt dies häufiger auf. Nach dem zehnten Lebensjahr nimmt das Schlafwandeln stark ab und verschwindet meist völlig. Bei einem Prozent der Betroffenen bleibt das Schlafwandeln bis ins Erwachsenenalter bestehen.
Somnambulismus betrifft meist Kinder und verschwindet häufig mit dem Erwachsenenalter.
Dass Schlafwandeln erstmalig im Erwachsenen- oder höheren Alter auftritt ist sehr ungewöhnlich. Bevor die Diagnose „Schlafwandeln/Somnambulismus“ gestellt wird, sollten andere Ursachen wie zum Beispiel psychische Auffälligkeiten, Fieber, Schlafentzug, medikamentöse Nebenwirkungen, eine Epilepsie oder andere Erkrankungen ausgeschlossen werden. Somnambulismus betrifft meist Kinder und verschwindet häufig mit dem Erwachsenenalter.
Die früher verbreitete These, die Anziehung des Mondes sei für das Schlafwandeln verantwortlich und Schlafwandler somit Mondsüchtige, wurde mit fortschreitendem medizinischem Wissen schnell verworfen. Auch die Idee, Schlafwandler würden während ihrer nächtlichen Streifzüge einfach nur ihre Träume ausleben, entpuppte sich als falsch.
Moderne Untersuchungen im Schlaflabor zeigten, Schlafwandeln passiert nicht während des REM-Schlafs (Rapid Eye Movement-Schlaf), welcher von intensiven Träumen begleitet ist, sondern während des Tief- oder Normalschlafs. Traumartige Erinnerungen sind während dieser Phase - wenn überhaupt - nur bruchstückhaft vorhanden.
Komplett verstanden hat man das Schlafwandeln bis heute nicht. Angenommen wird, dass das Gehirn nach einem inneren oder äußeren Weckreiz nicht völlig erwacht, es also halb wach, halb schlafend ist und es daher zu komplexen Verhaltensweisen kommt, die sonst nicht schlafend ausgeführt werden würden.
Was genau zu diesem unvollständigen Erwachen führt weiß man nicht genau. Vermutet wird ein entscheidender Einfluss genetischer Faktoren, da 80 Prozent der Schlafwandler einen weiteren Schlafwandler in der Familie haben.
Stress von bereits Betroffenen steht im Zusammenhang mit vermehrt auftretenden Schlafwandelepisoden.
Dinge, die zu einem tieferen Schlaf führen wie der Schlaf nach einer durchgemachten Nacht, vermehrter Alkoholgenuss, Medikamente oder Fieber können eine Schlafwandelepisode begünstigen. Das liegt daran, dass das Schlafwandeln aus dem Tiefschlaf heraus entsteht und ein sehr tiefer Schlaf das Auftreten somit begünstigt. Stress von bereits Betroffenen steht im Zusammenhang mit vermehrt auftretenden Schlafwandelepisoden.
Symptome des Schlafwandelns
Als Schlafwandeln bezeichnet man das Verlassen des Bettes und das Umherwandeln in der Nacht. Häufig verlassen Betroffene das Bett im ersten Drittel des Nachtschlafes (non-REM-Schlaf) und zeigen komplexe Verhaltensweisen ohne das eine Bewusstseinsklarheit entsteht.
Dabei sind die Augen geöffnet und die Umgebung wird wahrgenommen. Das Bewusstsein ist jedoch herabgesetzt, der Gesichtsausdruck leer und die Reaktivität sowie Geschicklichkeit vermindert.
Komplexe Verhaltensweisen bezeichnen Aktivitäten wie das Aufrichten und Umherblicken mit ausdruckslosem Gesicht, automatisierte Handlungen wie zum Beispiel das Zurechtmachen des Bettes und zu guter Letzt das Verlassen des Bettes.
Wird das Bett verlassen kommt es zu Versuchen, sinnvolle Handlungen durchzuführen. In der Küche wird beispielsweise versucht Essen zuzubereiten, im Haus wird versucht zu putzen oder gar ein Instrument zu spielen.
Es existieren sogar Berichte über Schlafwandler, die versucht haben sollen ins Auto zu steigen und loszufahren.
Die Reaktion auf äußere Reize wie das Ansprechen mit dem Namen, ist deutlich vermindert oder gar nicht vorhanden.
Kurze traumartige Erlebnisse wie zum Beispiel eine Flucht oder ein Kampf können dazu führen, dass Schlafwandler aggressiv reagieren, wenn versucht wird sie aufzuhalten oder aufzuwecken.
Die im Volksmund bekannte „schlafwandlerische Sicherheit“ existiert nicht! Schlafwandler können sich auf Grund ihrer mangelnden Koordinierung und Orientierung verletzten, sich zum Beispiel mit einem Messer schneiden oder aus einem Fenster stürzen.
Es existieren sogar Berichte über Schlafwandler, die versucht haben sollen ins Auto zu steigen und loszufahren.
Oft kehren Betroffene nach einiger Zeit alleine zurück in ihr Bett. An die Ereignisse können sie sich am nächsten Morgen nicht mehr erinnern.
Häufig treten folgende Symptome auf:
- Auftreten im ersten Drittel des Nachtschlafes
- Offene Augen, starrer Gesichtsausdruck
- Automatisierte Handlungen wie das Bett machen, Kochen, Putzen
- Verminderte Koordinierung und Orientierung
- Verminderte Reaktivität: Keine Reaktion auf Ansprache
- Seltenes aggressives Verhalten
- Keine Erinnerungen an die Geschehnisse am nächsten Morgen
Die Dauer einer Schlafwandelepisode kann von wenigen Sekunden, über Minuten, bis hin zu einer Stunde in seltenen Fällen reichen.
Nicht ganz klar vom Schlafwandeln abzugrenzen ist das nächtliche Aufschrecken: Pavor nocturnus!
Betroffene, auch hier meist Kinder, schrecken in der ersten Nachthälfte verängstigt und schreiend auf. An einen bestimmten Traum erinnern sich die Betroffenen nicht. Am nächsten Morgen ist der Schrecken wieder vergessen. Bei einigen geht der Pavor nocturnus in ein echtes Schlafwandeln über.
Fragst du dich, ob du auch unter einer Schlafstörung leiden könntest? Mache den Selbsttest!
Was oft mit Schlafwandeln verwechselt wird
Eine Reihe von Schlafstörungen werden oft mit dem Schlafwandeln verwechselt. Hierzu zählen:
- Epileptische Anfälle die nur nachts auftreten.
- REM-Schlafstörungen welche vermehrt bei Männern im höheren Alter auftreten und mit Bewegungen einhergehen, welche in Verbindung zu im Traum erlebten Inhalten stehen. Es kommt zu wilden schlagartigen Bewegungen im Bett, bei denen sich Betroffene und Mitschläfer mitunter verletzen können.
- Nächtliche Verwirrtheitszustände die durch Nebenwirkungen von Medikamenten oder Drogen verursacht sein können.
- Psychische Ausnahmezustände und bewusstes nächtliches Essen.
Diagnose und Therapie des Schlafwandelns
Um die Schlafstörung sicher behandeln zu können, muss zuerst die richtige Diagnose gestellt werden, da es sich auch um eine Reihe anderer, ähnlicher Schlafstörungen handeln könnte. Nach der Diagnosestellung gibt es eine Reihe an Therapiemaßnahmen die eingeleitet werden können um die Symptome des Schlafwandelns zu mindern oder sogar gänzlich auzuschalten.
Diagnose
Eine ausführliche Anamnese, sowie eine genaue Untersuchung über Nacht im Schlaflabor können zur sicheren Diagnosestellung führen.
Eine ausführliche Schlaf- und Medikamentenanamnese sollte erhoben werden um abschätzen zu können, wie oft und wann das Schlafwandeln auftritt und ob die nächtlichen Ereignisse gegebenenfalls in Zusammenhang mit einer Medikamenteneinnahme stehen.
Neben einer genauen nervenärztlichen Untersuchung ist die beste diagnostische Methode die Überwachung im Schlaflabor.
Hier werden Patienten per Langzeit-EEG (Elektroenzephalografie) und Videokamera eine oder mehrere Nächte überwacht. Dabei können Ärzte das Auftreten abnormer EEG-Veränderungen beobachten und per Video das Bewegungsverhalten der Patienten im Schlaf beurteilen.
Therapie
Das Ziel der Therapie ist es, körperliche und geistige Anspannung der Betroffenen zu reduzieren, Verletzungen, die unter Umständen während des nächtlichen Umherwandelns auftreten könnten zu verhindern und den Schlaf wieder zu normalisieren.
Betroffene und ihr Umfeld müssen umfassend über das Krankheitsbild aufgeklärt werden um ein Verständnis für die Krankheit zu schaffen und Ängste abzubauen. Angehörige von Betroffenen müssen wissen, dass sie Schlafwandelnde während einer Episode nicht abrupt versuchen sollten zu wecken, sondern beruhigend auf sie einreden und sie vorsichtig zurück ins Bett begleiten sollten.
Eine sichere Schlafumgebung
Um Verletzungen zu verhindern, muss eine sichere Umgebung für die Schlafwandelnden geschaffen werden. Hierzu gehört die Sicherung von Fenstern und Türen mit Schlössern und das Entfernen gefährlicher Möbel, zum Beispiel von Tischen mit spitzen Kanten aus dem Schlafzimmer. Die Abgabe eines Zweitschlüssels an Nachbarn, oder sogar das Anbinden eines Zweitschlüssels an das Bein eines Betroffenen kann sinnvoll sein, wenn der oder die Betroffene sich wiederholt ausgeschlossen hat.
Als letzte Maßnahme können Betroffene vorsichtig ans Bett gebunden werden, um so das Verlassen des Bettes komplett zu verhindern. Dies natürlich nur wenn der oder die Betroffene dies selbst wünscht.
Kurze Schlafphasen am Tag (Naps) können helfen, den Schlafdruck am Abend zu reduzieren und so eine Verminderung der Schlafwandeln-Episoden bewirken.
Da das Schlafwandeln aus dem Tiefschlaf heraus auftritt, sollte ein vermehrtes Bedürfnis nach jenem vermieden werden. Vorbeugend hilft hier ein regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus, die Vermeidung von Schlafdefiziten (da diese zu einem erhöhten Tiefschlafbedürfnis in der darauffolgenden Nacht führen) und der Verzicht auf Alkohol oder schlaffördernde Medikamente am Abend (auch diese führen zu vermehrtem Tiefschlaf).
Kurze Schlafphasen am Tag (Naps) können helfen, den Schlafdruck am Abend zu reduzieren und so eine Verminderung der Schlafwandeln-Episoden bewirken.
Um psychische und physische Anspannung zu reduzieren, kann das Erlernen von Entspannungstechniken sinnvoll sein. Meditation, autogenes Training und progressive Muskelrelaxation können hier helfen.
Um nicht während der Entspannungsübungen einzuschlafen, ist es empfehlenswert diese im Sitzen und vor dem Zubettgehen auszuüben.
Auch Sport und abendliche Rituale helfen sich zu entspannen und eine ruhigere Nacht ohne Episoden des Schlafwandelns zu verbringen.
Vorsatzformeln meint, sich immer wieder etwas vor dem Zubettgehen vorzusprechen und sich so ein neues Verhaltensmuster anzutrainieren. Zum Beispiel kann man sich immer wieder vorsagen: „Sobald meine Füße den Boden berühren, wache ich auf!“ Wird dieser Satz wirklich verinnerlicht, kann so eine körpereigene „Notbremse“ nächtliches Umherwandeln verhindern.
Psychotherapeutische Behandlung
Sollten die nächtlichen Episoden des Schlafwandelns in Verbindung mit unbewältigten Konfliktsituationen stehen, kann eine Psychotherapie helfen, diese aufzuarbeiten und gegebenenfalls die Häufigkeit des Schlafwandelns zu reduzieren.
Gleich vorneweg: Medikamente können das Schlafwandeln nicht heilen, sondern in bestimmten Fällen die Symptome lindern und sollten mit Bedacht und nur wenn vom Arzt verordnet eingesetzt werden!
Beruhigende Medikamente wie Benzodiazepine können bei häufig auftretenden nächtlichen Ereignissen zu einer Reduktion dieser führen und diese in der Stärke mindern. Benzodiazepine eignen sich jedoch nur zur kurzfristigen Therapie, da schnell ein Gewöhnungseffekt und eine Abhängigkeit auftritt.
Zur längerfristigen Therapie eignen sich trizyklische Antidepressiva, allerdings ist die Wirkung dieser auf das Schlafwandeln wissenschaftlich nicht genauer untersucht und der Einsatz sollte nur als letzte Maßnahme und unter genauer Absprache mit dem behandelnden Arzt erfolgen.
Mythos Schlafwandeln: Unglaubliche Geschichten
Der Koch
Ein ehemaliger Koch aus Schottland steht regelmäßig in der Nacht auf, schlafwandelnd, läuft in die Küche und bereitet sich verschiedene einfache Gerichte zu. Seine Frau macht sich sorgen um das Gewicht ihres Mannes und um ihr Haus, das gegebenenfalls einmal einem nächtlichen Feuer, aus der Küche kommend, zum Opfer fallen könnte.
Die Seitenspringerin
Im Magazin „New Scientist“ wird ein Fall einer Frau beschrieben, welche nachts ihr Bett, Mann und Haus verließ, um mit unbekannten Männern zu schlafen. Eines Tages von ihrem Mann in flagranti erwischt, konnte der ihren Unschuldsbeteuerungen natürlich nicht glauben. Erst der Besuch in einem Krankenhaus und die Diagnose Somnambulismus brachte Klarheit und die beiden wieder zusammen.
Der Mörder
Der Pariser Polizist Robert Ledru ermittelte im Jahr 1887 in einem Mordfall. Die einzigen Spuren am Tatort waren eine Kugel aus einer Pistole und ein Fußabdruck auf dem zu erkennen war, dass dem vermeintlichen Mörder der große Zeh am rechten Fuß fehlte. Dem Polizisten Ledru selbst fehlte ein großer Zeh am rechten Fuß, auch eine Kugel in seiner Pistole und am Morgen nach dem Mord war er erregt und verwirrt aufgewacht. Er selbst hatte die Tat begangen und verbrachte den Rest seines Lebens in einer psychiatrischen Klinik.
Häufige Fragen zum Artikel
Schlafwandeln ist eine Schlafstörung die zumeist Kinder betrifft und bei der die Betroffenen im ersten Drittel der Nacht das Bett verlassen. Mit vermindertem Bewusstsein, Reaktivität und Geschicklichkeit wandern Betroffene in der Wohnung umher, kehren meist von alleine wieder ins Bett zurück und können sich am nächsten Morgen an nichts erinnern.
Somnambulismus, im Volksmund auch Schlafwandeln genannt, ist eine Schlafstörung, die zur Gruppe der Parasomnien gehört.
Schlafwandler verlassen nachts, während des ersten Drittels der Nacht das Bett und wandern bei herabgesetztem Bewusstsein umher. Auf Ansprache reagieren diese nicht, wirken desorientiert und können sich am nächsten Morgen an nichts erinnern.
Schlafwandeln ist nicht ansteckend. Allerdings scheint es eine genetische Komponente zu geben, da 80 Prozent aller Schlafwandler einen weiteren Schlafwandler in der Familie haben.
Meist dauern Episoden des Schlafwandelns nur wenige Sekunden bis Minuten. Längere Episoden von über einer halben Stunde sind sehr ungewöhnlich.
Nein! Schlafwandler können vor allem sich selbst, aber auch andere gefährden. Spitze Gegenstände, Stürze oder sogar nächtliche Autofahrten können sehr gefährlich für den oder die Schlafwandler/in werden.
Schlafwandeln tritt meist im Kindesalter auf und verschwindet mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter völlig. Bei weniger als einem Prozent besteht die Symptomatik länger. Hier können Psycho und Verhaltenstherapie helfen. Als letzte Maßnahme können Medikamente in Betracht gezogen werden.
15 bis 30 Prozent aller Kinder haben wenigstens eine Episode von Schlafwandeln, bei drei bis vier Prozent der Kinder tritt dies häufiger auf. Bei nur knapp einem Prozent besteht die Symptomatik bis ins Erwachsenenalter hinein. Neu auftretendes Schlafwandeln im Erwachsenenalter ist ungewöhnlich.
Genau weiß man dies nicht. Eine genetische Prädisposition wird vermutet, auch ein Zusammenhang mit vermehrtem Stress besteht. Das Gehirn erwacht nach einem inneren oder äußerlichen Weckreiz nicht völlig und so kommt es zu besagten Symptomen.
Schlafwandelnde reagieren meist nicht auf Ansprache. Ein erzwungenes Erwecken sollte vermieden werden, da die Reaktion des Schlafwandelnden nicht abschätzbar ist. Beruhigende Worte und ein vorsichtiges Zurückführen in das Bett können hilfreich sein.
Nein, Alkohol allein kann kein Auslöser von Schlafwandeln sein. Allerdings kann Alkohol bei Schlafwandeln vermehrte Episoden hervorrufen, da Alkoholgenuß am Anfang der Nacht zu vermehrtem Tiefschlaf führt.