Alleskönner Melatonin
Produktion
Melatonin wird in vielen Körperzellen produziert. Doch vor allem ein Körperteil benötigt Melatonin und stellt es in großen Mengen her: Das Gehirn.
Genau genommen ist dafür eine erbsengroße Drüse zuständig, die in der Mitte unseres Denkorgans sitzt. Sie heißt Zirbeldrüse (auch: Epiphyse) und ist allein für die Herstellung des Melatonins zuständig. Das von der Zirbeldrüse produzierte Melatonin wird bei Dunkelheit ausgeschüttet. Es macht uns müde und wird daher auch Schlafhormon genannt.
Obwohl Melatonin als Schlafhormon enorm wichtig für unseren Körper ist, sollten wir es nicht auf diese Wirkung beschränken. Neben dem Gehirn produzieren folgende Körperteile Melatonin:
- Haut
- Leber
- Netzhaut
- Darm
- Immunzellen
- Knochenmark
Melatonin wird immer im Inneren der Zellen hergestellt: In den Mitochondrien, unseren Zellkraftwerken.
Mitochondrien, unsere Zellkraftwerke
Jede Zelle ist in ihrem Inneren in kleinere funktionelle Einheiten unterteilt: die Zellorganellen. Jedes Zellorganell hat andere Funktionen, die sich aus seinen inneren Bedingungen ergeben.
Säure-Base-Verhältnis und eine spezifische enzymatische Ausstattung entscheiden darüber, welcher Prozess in welchem Zellorganell stattfindet. So gibt es Zellorganellen zur Entgiftung, Erbgutlagerung, Proteinproduktion und so weiter…
Besonders wichtig sind Mitochondrien, die Kraftwerke unserer Zellen.
Einer der wichtigsten Prozesse im Zellinneren ist die Atmungskette. Sie ist der zelluläre Prozess, der ATP (Adenosintriphosphat) herstellt. Das ist im gesamten Körper der wichtigste und schnellste Energieträger.
Ohne ATP könnten wir keine Sekunde überleben.
Für die Herstellung von ATP sind fünf Enzymkomplexe zuständig, die in der inneren Mitochondrienmembran sitzen. Außerdem benötigen die Zellkraftwerke ein Molekül, das Elektronen liefert und zusätzlich wie der Begriff Atmungskette vermuten lässt: Sauerstoff.
Die Rolle von Mitochondrien bei Sepsis
Sepsis ist ein lebensgefährlicher Zustand, der umgangssprachlich auch Blutvergiftung genannt wird. Eine Sepsis kann die Folge einer schweren Infektion sein:
Das Immunsystem mobilisiert all seine Kräfte im Kampf gegen die bakteriellen oder viralen Erreger.
Doch geschieht dies nicht ohne Verluste. Die molekularen Waffen der Abwehrzellen belasten bei einer Sepsis den gesamten Körper. Vor allem sehr hohes Fieber und freie Sauerstoffradikale, die der Zerstörung von Angreifern dienen, schädigen Körperzellen.
Mitochondrien leiden unter dieser Situation. Eine durch die Sepsis entstandene Dysbalance verschiedener Stoffe führt dazu, dass die Atmungskettenkomplexe nicht richtig arbeiten.
Die Folge: Es wird nicht genügend ATP hergestellt. Das ist für das Überleben der Zellen aber notwendig. Außerdem entstehen giftige Sauerstoffradikale. Diese greifen die Mitochondrien an und zerstören Mitochondrien- sowie Zellmembran.
Bis zu einem bestimmten Punkt kann der Körper Sauerstoffradikale zwar unschädlich machen, doch irgendwann kommt er mit dem Entgiften nicht mehr hinterher. Durch die schwere Schädigung sterben Zellen und es kommt zu der am meisten gefürchteten Komplikation: Organversagen.
Melatonin in Mitochondrien
Unsere körpereigenen Mechanismen zum Schutz der Mitochondrien vor giftigen Sauerstoffradikalen beruhen auf einem einfachen Prinzip. Doch dafür musst du zunächst verstehen, warum Sauerstoffradikale so ungesund für Zellen sind:
Warum sind Sauerstoffradikale ungesund?
Sauerstoffatome liegen normalerweise gepaart vor, da dies die für sie energetisch günstigste Form ist. Werden zwei Sauerstoffatome voneinander getrennt, so nennen wir sie Sauerstoffradikale. Diese Sauerstoffradikale sind nicht gerne allein: Sie suchen sofort ein weiteres Atom, mit dem sie sich verbinden können. Den gesuchten Partner finden sie oft in der Zellmembran.
Das Problem: Die Zellmembran wird durch die Reaktion mit Sauerstoffradikalen geschädigt.
Doch unser Körper wirkt dem mit einem einfachen Prinzip entgegen. Er produziert aktiv Stoffe, die auch das Bestreben haben, sich mit anderen Atomen zu verbinden. Diese Antioxidantien fangen die Sauerstoffradikale gewissermaßen ein.
Melatonin übernimmt die Rolle eines Zuarbeiters: Es hilft, die Radikalfänger (Synonym: Antioxidantien) zu regenerieren.
Studien zeigen, dass Melatonin sogar ein wirksameres Antioxidans ist, als so mancher Vitamin.
Wirkung
Melatonin hat sowohl wasser- als auch fettliebende Eigenschaften. Das macht es besonders mobil: Wie ein Geist, der durch Wände statt Türen geht, kann es ohne die Hilfe von Transportern in alle Körperzellen diffundieren. Es kann daher sowohl extra- als auch intrazellulär wirken.
Im Gehirn wird Melatonin in großen Mengen produziert und ausgeschüttet. Dafür ist die Zirbeldrüse zuständig. In Abwesenheit von blauem Licht, also bei Dunkelheit, setzen die Zellen der Zirbeldrüse das in ihnen produzierte Melatonin frei.
Die Melatoninkonzentration im Blut ist nachts daher zehnmal so hoch wie tags!
Für das Gehirn ist die vermehrte Melatoninausschüttung ein wichtiges Signal: Wir werden müde und geben unserem Körper durch den Schlaf die notwendige Ruhe, die er zur Regeneration braucht.
Auch Herz- und Leberzellen reagieren auf Melatonin: Das Herz benötigt sehr viel Energie. Auch die Entgiftungsprozesse der Leber sind nicht gerade energiesparend. Daher weisen Herz- und Leberzellen eine besonders große Mitochondriendichte auf.
Doch wo es viele Mitochondrien gibt, ist auch das Risiko der Schädigung durch Sauerstoffradikale groß. Herz und Leber benötigen also besonders viele Antioxidantien. Unter anderem: Melatonin.
Studien zeigen, dass Melatonin bei Herz- und Lebererkrankungen positive Auswirkungen auf den Heilungsprozess hat. Die Zellen dieser Organe werden durch die antioxidative Wirkung des Melatonins in ihrer Selbstheilung unterstützt.
Mit seinen radikalfangenden Eigenschaften unterstützt Melatonin auch das Immunsystem. Doch nicht nur das:
Studien zeigen, dass es zusätzlich zur Unterstützung der körpereigenen Schutzmechanismen die Produktion schädlicher Stoffe wie Malondialdyehyd und Stickstoffmonoxid hemmt. Außerdem wirkt Melatonin auf genetischer Ebene. Über den Faktor NFkB reguliert es das Immunsystem positiv.
Hilft Melatonin gegen COVID-19?
Immer mehr Forschungsteams raten zur Verwendung von Melatoninpräparaten im Kampf gegen das Coronavirus. Das hat verschiedene Gründe:
Langfristgen Lungenschäden vorbeugen
Reaktive Sauerstoffspezies spielen eine wichtige Rolle bei der Schädigung von Lungengewebe durch das Coronavirus.
Da es Körperzellen besonders gut im Kampf gegen reaktive Sauerstoffspezies unterstützen kann, raten Expert*innen dazu, Personen mit einem schweren COVID-19-Verlauf Melatonin zu verabreichen. Die reaktiven Sauerstoffspezies entstehen im Verlauf der Erkrankung vermehrt und führen zum Absterben von Körpergewebe.
Besonders stark betroffen ist die Lunge. Vor allem beatmete Patient*innen können davon profitieren. Dies zeigen aktuelle Studien eindrücklich:
Die Überlebensrate von beatmeten Patient*innen, die Melatonin einnehmen, ist deutlich höher!
Organversagen verhindern
Oxidative Prozesse sind mitverantwortlich für das gefürchtete multiple Organversagen bei einem schweren Verlauf von COVID-19.
Die Lunge ist nicht das einzige Organ, was im Kampf gegen Corona von Melatonin unterstützt wird. Bei schwerem Verlauf kommt es zum Teil zu schweren Schäden an anderen Organen, die schlimme langfristige Folgen haben können.
Leber, Herz und Nieren sind besonders anfällig für Langzeitschäden, die unter anderem durch oxidative Prozesse ausgelöst werden.
Die Kombination der verschiedenen positiven Wirkungen auf das Immunsystem mit seinen radikalfangenden Eigenschaften macht Melatonin zu einem vielversprechenden Medikament im Kampf gegen die tragischen Folgen von Corona. Das wird durch aktuelle Studien zunehmend belegt.
Schutz von Risikogruppen
Bestimmte Risikogruppen erkranken seltener an Covid 19, wenn sie Melatonin einnehmen.
In einer großen Studie analysierten Wissenschaftler*innen, welche Vorerkrankungen das Risiko, an COVID-19 zu erkranken, erhöhen. Außerdem schauten sie, welche Medikamente diese Personen zusätzlich nahmen.
Die Ergebnisse der Studie sind überraschend:
An Diabetes erkrankte Personen infizierten sich deutlich seltener mit SARS-Cov-2, wenn sie zusätzlich Melatonin einnahmen.
Leider können Forschende hier aber zunächst nur von einer Korrelation sprechen. Ob es eine Ursache-Wirkungs-Beziehung gibt, müssen die Forschungsgruppen noch herausfinden.
Gesund schlafen
Eines ist sicher: Schlaf ist wichtig für die regenerativen Prozesse unseres Körpers. Viele Studien belegen, dass Schlaf besonders nach körperlicher Belastung durch Sport, Stress und Krankheit den Heilungsprozess der Zellen beschleunigen kann.
Außerdem sorgt er dafür, dass der Körper viel mehr Energie in die Regeneration stecken kann, da wir uns nicht bewegen.
An COVID-19 Erkrankte können schon allein durch den besseren Schlaf von Melatonin profitieren.
Wir sehen: Melatonin ist ein wahrer Alleskönner, der wahrscheinlich auch im Kampf gegen das Coronavirus eine immer wichtigere Rolle spielen könnte. Ich bin gespannt, inwiefern Forschungsergebnisse das in den nächsten Monaten belegen werden!