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Schlafstörungen

Reizbar und verständnislos: Schlaflosigkeit verändert Emotionen

Müdigkeit verändert unsere Emotionen und unser Verständnis von Emotionen anderer. Christnerfort
Siobhan Weiss

Veröffentlicht von Siobhan Weiss am 29.06.2020

Schlafmangel macht reizbar und beeinträchtigt die Fähigkeit des fokussierten Denkens. Doch nicht nur die eigenen Gefühle sind gestört: Auch das Erkennen von Emotionen anderer fällt schwerer.

Was ist eine Insomnie?

Insomnie ist der medizinische Fachausdruck für Schlafmangel. Sie ist die häufigste Schlafkrankheit.

30 bis 50 Prozent aller Menschen weisen Symptome einer Insomnie auf.

Zu den Symptomen der Insomnie gehören: Ein- und Durchschlafstörung und zu frühes Erwachen. Als insomnieerkrankt diagnostiziert wird man jedoch erst, wenn man durch die Symptome eine Beeinträchtigung des Alltags entwickelt hat. Eine Insomnie ist nicht ungefährlich:

Wer zu wenig schläft, hat ein höheres Unfallrisiko und ist unproduktiver und abwesend auf der Arbeit.

Zu wenig Schlaf erhöht auch das Risiko für viele Krankheiten. Wenn ihr euch dafür interessiert, schaut doch mal hier vorbei:

Schlafmangel mindert kognitive Leistungen

Studien konnten zeigen: Wer besser und lang genug schläft, ist intelligenter und erfolgreicher.

Doch woran liegt das? Während wir schlafen, laufen zahlreiche regenerative Prozesse in unserem Körper ab. So auch im Gehirn. Einerseits finden nachts Reinigungsprozesse statt.

Während die Berliner Stadtreinigung früh morgens die Straßen säubert, sorgt auch unser Hirn für den Abtransport unseres Abfalls.

Pulsierende Hirnflüssigkeit spült Abfallproteine und Giftstoffe zwischen den Zellen davon. Das ist wichtig für eine optimale Entwicklung und Vernetzung unserer Nervenzellen im Gehirn.

Andererseits arbeiten auch die Nervenzellen selbst während des Schlafs anders: Neuronale Netzwerke reorganisieren sich. Sie festigen wichtige Verbindungen zwischen den einzelnen Zellen und lösen unwichtige auf. Die Neurowissenschaftlerin Els van der Helm formulierte dieses Phänomen treffend als:

„sleep to remember, sleep to forget“

Was sie damit meint: Schlaf festigt nicht nur wichtige Gedankeninhalte, er löscht auch unwichtiges. Das ist wichtig für unsere Gedäg. Denn nur, wenn das Gehirn fähig ist, aus allen Inputs die relevanten Informationen herauszufiltern, ist für diese genug Kapazität vorhanden.

Intelligenz definiert sich also auch dadurch, systematisch Informationen zu löschen um fokussiertes, zielorientiertes Planen zu ermöglichen.

Durch eine Insomnie nimmt die Fähigkeit des zielorientierten Handelns und der kognitiven Flexibilität stark ab. Auch die Leistungen des Arbeitsgedächtnisses sinken.

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Zielorientiertes Denken und Handeln

Zielorientiert handeln bedeutet, sich ein Ziel für die Zukunft zu setzen und seine Handlungen so darauf abzustimmen, dass sie möglichst direkt zu diesem Ziel führen.

 

Das dorsal attention network

Auf neuronaler Ebene wird dies ermöglicht durch das dorsal attention network. Es besteht aus verschiedenen Hirnstrukturen, die bei aufmerksamkeitserfordernden Aufgaben aktiv sind. Dazu gehören Teile der Hirnrinde, die supplementärmotorischer Kortex und Insula genannt werden.

 

Das default mode network

Gewissermaßen entgegengesetzt dazu arbeitet das default mode network. Es ist aktiv, wenn wir wach sind, die Aufmerksamkeit jedoch eher auf uns selbst und nicht auf die Umwelt gerichtet ist. Ihr seid Tagträumende? Dann arbeiten diese Gehirnregionen bei euch vielleicht sehr stark.

 

Diese beiden Systeme arbeiten entgegengesetzt. Treten also Störungen in einem der beiden auf, so sind die Effekte des anderen überschießend. Und genau das passiert bei der Insomnie! Schlafmangel führt zu Störungen in den Hirnregionen des dorsal attention networks. So sind diese Menschen oft in sich gekehrt und geistig abwesend.

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Das Arbeitsgedächtnis

Das Arbeitsgedächtnis ist dazu da, Informationen zeitweise im Gedächtnis zu halten und sie so zu verarbeiten, dass sie verwendet werden können.

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Kognitive Flexibilität

Kognitive Flexibilität ist die Fähigkeit, seine Gedankenrichtung ändern zu können. Dies ist wichtig, um sich an die Umwelt anzupassen. Kognitiv flexibel müsst ihr zum Beispiel sein, wenn der Bus ausfällt, ihr aber einen wichtigen Termin habt: Ihr müsst schnell von eurem ursprünglichen Plan ablassen und eine andere Lösung finden. An Schlafmangel Leidende scheitern häufig an solchen Situationen.

Schlafmangel verändert unsere Emotionen

Schlafmangel beeinträchtigt auch unsere Gefühlswelt. Müde tendieren wir dazu, Situationen als negativer zu bewerten, als wir es ausgeschlafen tun würden. Unsere Reaktivität auf negative emotionale Einflüsse nimmt zu. Positive Reaktionen nehmen ab oder bleiben gleich.

Zahlreiche Studien haben festgestellt, dass Schlafmangel zu Depression und Angststörungen führen kann.

Doch woran liegt das? Das limbische System, welches für negative Emotionen wie Angst zuständig ist, wird in bestimmten Schlafphasen reorganisiert. Seine Aktivität lässt im Laufe der Nacht nach. Durch Schlafmangel wird dieser Mechanismus gestört. Daher reagieren Schlafgestörte auf negative emotionale Reize stärker als andere.

Auch die Emotionserkennung ist beeinträchtigt

Doch Insomnie stört nicht nur unsere eigenen Gefühle: Auch das Erkennen von Emotionen anderer nimmt ab.

Dies konnte in einer neuen Studie, welche in Brasilien durchgeführt wurde, herausgefunden werden:

Man zeigte den Personen Fotos von Gesichtern, welche glücklich, sauer, ängstlich, traurig oder neutral schauten. Die Proband*innen hatten wenige Sekunden Zeit das Bild anzusehen und mussten daraufhin entscheiden, welche Emotion sie auf dem Bild erkannt hatten.

Die Ergebnisse sind erstaunlich: Proband*innen, welche unter Insomnie leiden, können Emotionen in Gesichtern schlechter erkennen als andere. Doch das trifft nicht für alle Emotionen zu! Die Störung der Emotionserkennung konnte nur für die Emotionen Angst und Trauer festgestellt werden. Glück und Zorn wurden problemlos erkannt.

Wie erklärt man sich diese Ergebnisse? Es könnte zum Beispiel sein, dass die Antwort in unserer Vergangenheit liegt. Bei Bedrohung reagiert unser Körper auch in Mangelzuständen mit der Mobilisierung seiner letzten Energievorräte. Es könnte also sein, dass bestimmte neuronale Verbindungen auch bei Schlafmangel trotz Störung der emotionsbezogenen Hirnareale, gehalten und gestärkt werden.

Zorn im Gesicht anderer Menschen zu erkennen, kann im Zweifelsfall zum Beispiel überlebenswichtig sein, um sich auf den Kampf oder die Flucht einzustellen.

Obwohl Schlafmangel also zu Störungen in der Erkennung von Emotionen führt, scheint unser Gehirn überlebenswichtige Bahnen länger zu erhalten als andere.

Häufige Fragen zum Artikel

Quellenverzeichnis

Siobhan Weiss

Medizinstudentin und Schlafexpertin

Siobhan studiert Medizin und möchte sich später auf Neurologie spezialisieren. Ihr großes Interesse für das Thema Schlaf entwickelte sie, als sie sich im Studium mit der Entwicklung des Gehirns auseinandersetzte. Bei besserschlafen.de ist Siobhan dafür zuständig, komplexe medizinische Inhalte so zu erklären, dass jeder sie verstehen kann. So möchte sie ihre Faszination für den menschlichen Körper mit vielen Menschen teilen. In ihrer Freizeit macht Siobhan viel Sport und schläft auch gerne mal aus.

siobhan@besserschlafen.de