Kaum ein Phänomen birgt so viel Unentdecktes wie der Traum. Der griechische Philosoph und Naturforscher Aristoteles widmete sich der Erforschung dieses faszinierenden Phänomens.
Kaum ein Phänomen birgt so viel Unentdecktes wie der Traum. Der griechische Philosoph und Naturforscher Aristoteles widmete sich der Erforschung dieses faszinierenden Phänomens.
„De insomniis“ (dt. „Über Träume“) ist ein Essay des griechischen Philosophen und Naturforschers Aristoteles. Darin widmet er sich der Frage, was wir tun, wenn wir träumen. Das Essay ist in drei Kapitel unterteilt und Teil einer Sammlung von Texten, die den Namen „Parva naturalia“ (dt. „kleine naturwissenschaftliche Texte“) trägt. Die insgesamt sieben Texte handeln von naturwissenschaftlichen Phänomenen, die Aristoteles in Beziehung zu den Einheiten Körper und Seele betrachtet.
Aristoteles wird 384 v. Chr. in Stageira, einer Stadt im Nordosten Griechenlands, geboren. Er stammt aus einer angesehenen Familie. Sein Vater Nikomachos fungiert als Leibarzt am makedonischen Königshof. Im Alter von 17 reist Aristoteles nach Athen und beginnt dort – als Schüler Platons – sein Studium. Seine Forschungsgebiete umfassen diverse Disziplinen. So widmete er sich unter anderem der Staatslehre, Rethorik, Astronomie, Physik und Medizin. Sein Werk umfasst die wichtigsten Themen seiner Zeit und setzt sich der strikten Trennung zwischen Geistes- und Naturwissenschaft entgegen. Er gehört zu den großen Denkern unserer Zeit. Sein Einfluss auf die Sprache und Denkweise unserer modernen Gesellschaft ist allgemein anerkannt. Zu seinen bekanntesten Werken zählen die „Poetik“, „Metaphysik“ und „Politik“. Im Alter von 62 Jahren stirbt Aristoteles im Haus seiner Mutter in Chalkis auf der griechischen Insel Eubioa.
Wenn wir schlafen, dann träumen wir. Der Schlaf, so schreibt Aristoteles, zeichne sich durch eine Lähmung des zentralen Wahrnehmungsorgans aus. Entgegen dem heutigen Wissen, sah Aristoteles das Herz als zentrales Wahrnehmungsorgans. Seine Lähmung würde zu einer Lähmung der anderen, untergeordneten Sinnesorgane führen.
Nun befasst sich Aristoteles konsequenterweise mit dem Phänomen des Träumens. Dabei stellt er sich die Frage, ob es sich beim Träumen um einen Vorgang, beziehungsweise um die Fähigkeit des Denkens oder um die Fähigkeit der Sinneswahrnehmung handelt. Da sich die Sinnesorgane im Schlaf jedoch in einer Art Fesselung befinden, ist klar, dass die Traumbilder nicht aus gegenwärtigen Wahrnehmungseindrücken resultieren können. Der Träumende ist weder im Stande zu sehen, noch zu riechen, fühlen, hören, tasten oder zu schmecken. Doch auch die Fähigkeit zu Denken hat, nach Aristoteles, nichts mit der Traumentstehung zu tun, da das Denken in unmittelbare Verbindung mit der Sinneswahrnehmung steht:
[...]; denn von dem, was sich uns nähert, sagen wir nicht nur, es ist ein Mensch oder ein Pferd, sondern auch, es ist weiß oder schön. Keines dieser Urteile kann unsere Meinung ohne Sinneswahrnehmung fällen, […].
Laut Aristoteles handelt es sich beim Träumen vielmehr um das Vorstellungsvermögen der Seele. Träume sind im aristotelischen Sinne demnach Vorstellungsbilder unserer Seele während des Schlafs.
Die Fähigkeit zur Bildung von Vorstellungen steht insofern im engen Zusammenhang mit unserer Fähigkeit wahrzunehmen, als dass unsere Vorstellungsbilder auf jene Eindrücke zurückgreifen, die aus unserem Wahrnehmungsschatz stammen. Beides, unsere Fähigkeit wahrzunehmen und Vorstellungen zu bilden, tritt an ein und dem selben Organ auf: dem zentralen Wahrnehmungsorgan. Der aristotelischen Definition über Träume folgend, können wir also festhalten, dass auch das Phänomen des Träumens eine Sache des zentralen Wahrnehmungsorgans ist.
Das Wahrgenommene – Aristoteles spricht hier von äußeren Wahrnehmungsgegenständen – und die Wirkung auf den Wahrnehmenden und seine Umwelt existieren nicht nur im gegenwärtigen Moment der Wahrnehmung, sondern darüber hinaus. Aristoteles versteht die Wahrnehmungseindrücke als Bewegungsimpulse, die weiter strömen. Sie prägen den Wahrnehmenden auf bewusster und unbewusster Ebene und verändern, beziehungsweise bewegen die Umwelt auf materielle, aber auch auf immaterielle Weise:
Auch wenn der äußere Wahrnehmungsgegenstand nicht mehr gegenwärtig ist, verbleibt das Erzeugnis des Wahrnehmungsaktes im Zustand der Wahrnehmbarkeit.
Träume sind folglich ein Weiterleben des Wahrgenommenen auf geistiger Ebene und ferner eine Verarbeitung dessen. Unwillkürlich erinnert Aristoteles den heutigen Leser damit an die spätere Freudsche Traumdeutung und eröffnet als Erster eine psychologische Betrachtungsweise auf Träume.
In physiologischer Hinsicht beschreibt Aristoteles das Phänomen des Träumens als Restbewegungen der einzelnen Sinnesorgane. Im Schlafzustand, wenn die Sinnesorgane funktionstüchtig sind, strömen die äußeren Bewegungsimpulse über das Blut auf das zentrale Wahrnehmungsorgan und erzeugen so den Zustand, den wir gemeinhin als Träumen bezeichnen:
[...], dann bringt die von jedem einzelnen Sinnesorgan herrührende Bewegung, die sich etwas von den Wahrnehmungsbildern bewahrt hat, zusammenhängende Träume hervor. Es erscheint einem dann etwas und man glaubt zu sehen und zu hören aufgrund dessen, was einem vom Gesichts, oder Gehörsinn noch zufließt; ebenso ist es mit den anderen Sinnesorganen.