So beginnt „Dornröschen“, eines der bekanntesten Märchen der Gebrüder Grimm. Es handelt von einer Königstochter die, von einer bösen Fee verflucht, in einen hundertjährigen Schlaf fällt. Mit ihr schläft das ganze Schloss ein: König und Königin, der Koch und sogar das Vieh fallen in Tiefschlaf. Erst der Kuss eines Prinzen kann Dornröschen erwecken.
Wir allen kennen diese Geschichte, sie ähnelt den meisten Märchen: Prinzessin. Böse Fee. Problem. Prinz. Happy End.
Steckt hinter Dornröschen vielleicht mehr Wahrheit als wir denken?
Für Betroffene des Kleine-Levin-Syndroms wird Dornröschens Problem zur bitteren Realität.
Erkrankte leiden unter wiederkehrenden Episoden von Schlafattacken. In diesen zirka zehntägigen Phasen schlafen sie bis zu 23 Stunden am Tag! Schlafforscher*innen nennen das Kleine-Levin-Syndrom daher auch Dornröschen-Krankheit.
Was ist die Dornröschen-Krankheit?
Dornröschen-Krankheit ist ein anderes Wort für das Kleine-Levin-Syndrom. Das Kleine-Levin-Syndrom wurde erstmals 1925 vom Psychiater Willi Kleine und dem Neurologen Max Levin beschrieben.
Es handelt sich um eine Erkrankung des zentralen Nervensystems. Sie führt dazu, dass Betroffene immer wieder ein extremes Schlafbedürfnis empfinden. Dies tritt episodisch auf: Erkrankte schlafen phasenweise zehn Tage am Stück praktisch durch. Sie wachen lediglich für wenige Stunden am Tag auf, in denen sie essen oder auf Toilette gehen.
Die Dornröschen-Krankheit in Zahlen:
- Häufigkeit in der Bevölkerung: 1 von 1000000 Personen
- Dauer einer Schlafepisode: 10 Tage am Stück
- Schlafzeit pro Tag: 15 bis 23 Stunden
- Häufigkeit der Schlafepisoden: alle 3 Monate
- Geschlechtspräferenz: 70-90% Männer
- Alter beim erstmaligen Auftreten der Symptome: 10-20 Jahre
Symptome
Hauptsymptom der Dornröschen-Krankheit ist die Hypersomnie, also das stark vermehrte Schlafbedürfnis. Betroffene können sich nicht dagegen wehren: Sie verschlafen den Großteil des Tages. Sie können aufgeweckt werden, sind im Wachzustand aber lethargisch und kaum ansprechbar.
In den wenigen wachen Momenten berichten viele am Kleine-Levin-Syndrom Leidende von extremem Appetit. Daraus kann eine Gewichtszunahme resultieren.
Die meist männlichen Betroffenen verspüren ein erhöhtes sexuelles Verlangen. Auch führen sie mehr sexuell motivierte Handlungen aus. Das kann ganz schön nervig sein, wenn man keine Zeit hat potenzielle Sexualpartner*innen kennenzulernen da man den ganzen Tag schläft…
Viele am Kleine-Levin-Syndrom Erkrankte klagen von einem Gefühl von Fremdheit. Für sie verschwimmen Traum und Realität. Diese Derealistion lässt an den Film „Inception“ erinnern, ist aber keineswegs zu unterschätzen: Depression und Verhaltensstörungen gehören leider zum typischen Krankheitsbild der Dornröschen-Krankheit.
Diagnostik
Wie finden Ärzt*innen nun heraus, dass ein*e Patient*in am Kleine-Levin-Syndrom leidet? Dafür gibt es leider keinen einfachen Bluttest.
Um ein Dornröschen-Syndrom zu diagnostizieren, muss die Ärztin oder der Arzt mittels vieler diagnostischer Mittel alle anderen möglichen Erkrankungen ausschließen:
Mit einem EEG(Elektroenzephalogramm) können Mediziner*innen die elektrische Aktivität in bestimmten Gehirnregionen messen. Anhand der Gehirnströme lässt sich eine Epilepsie ausschließen.
Bei einer Lumbalpunktion entnimmt Arzt oder Ärztin Rückenmarksflüssigkeit. Dazu sticht er oder sie mit einer dicken Nadel im unteren Rückenbereich zwischen zwei Wirbel der Wirbelsäule.
Die entnommene Flüssigkeit wird im Labor analysiert: Stellt sich eine Virusinfektion mit erhöhter Zellzahl heraus, wurden die Symptome wahrscheinlich nicht durch ein Kleine-Levin-Syndrom ausgelöst. In diesem Fall handelt es sich wahrscheinlich eher um eine Gehirnentzündung, die Enzephalitis.
Das MRT(Magnetresonanztomogramm) gehört zu den bildgebenden Verfahren, die zum Ausschluss anderer Erkrankungen bei der Diagnostik des Kleine-Levin-Syndroms eingesetzt werden. Anhand des MRT erkennen Mediziner*innen, ob es sich um einen Schlaganfall oder einen Fall multipler Sklerose(MS) handelt.
Ursachen
Bezüglich der Ursachen der Dornröschen-Krankheit sind Forschende sich uneinig. Derzeit existieren vier Theorien, wodurch das Kleine-Levin-Syndrom ausgelöst werde:
Störung des Zwischenhirns
Unser Zwischenhirn sitzt zentral im Gehirn und hat viele verschiedene Funktionen. Unter anderem steuert es Appetit, Temperaturregulation und unseren Schlaf.
Tumore in diesem Bereich des Gehirns führen zu ähnlichen Symptomen wie das Kleine-Levin-Syndrom. Einige Forschungsgruppen schließen daraus, dass eine Störung dieser Gehirnregion ursächlich für den Dornröschenschlaf ist.
Hormonelle Störungen
Andere Forschende sehen die Übeltäter in zwei Hormonen, die wichtig für unser Gefühlsleben sind: Serotonin und Dopamin.
Serotonin und Dopamin gehören zu den Glückshormonen.
Bestimmt kennst du das Gefühl, wenn du eine Aufgabe besonders gut erledigt hast und dich einfach gut fühlst. Das hat unter anderem mit einer verstärkten Dopaminausschüttung zu tun. Dieses Hormon wird daher auch Belohnungshormon genannt.
Wissenschaftler*innen vermuten, dass eine Imbalance von Serotonin und Dopamin eine Ursache für das Kleine-Levin-Syndrom sein könnte.
Infektionen
Studien zeigen, dass dem Ausbruch der Dornröschen-Krankheit oft eine Infektion vorausgegangen ist. Das lässt darauf schließen, dass Krankheitserreger das Kleine-Levin-Syndrom auslösen könnten.
Der Gedankengang der Forschenden ist leicht nachvollziehbar: Viren wie das Epstein-Barr-Virus sorgen häufig für ein vermehrtes Schlafbedürfnis. Vielleicht ist also auch ein Virus für die Symptome des Kleine-Levin-Syndroms verantwortlich?
Behandlung
Leider ist das Kleine-Levin-Syndrom derzeit noch nicht behandelbar. Eine große Studie, in der verschiedene Medikamente getestet wurden, ergab: Eine Verbesserung einzelner Symptome konnte erreicht werden durch die Behandlung mit Lithium oder Amphetaminen.
Lithium
Lithium ist ein Antidepressivum, das auch gegen bipolare Störungen eingesetzt wird. In der Studie stellte sich heraus, dass es die Verhaltensänderungen des Kleine-Levin-Syndroms verbessern kann. Gegen die Schlafattacken hilft es aber leider nicht.
Amphetamine
Amphetamine wirken im Körper wie die Wirkstoffe chemischer Drogen wie MDMA, Ecstasy und Kokain. Kein Wunder, dass sie Patient*innen der Dornröschen-Krankheit im Kampf gegen die starke Müdigkeit helfen... Die anderen Symptome des Kleine-Levin-Syndroms werden durch Amphetamine aber leider nicht besser.
Fazit
Das Kleine-Levin-Syndrom ist eine schwere Erkrankung, die derzeit noch nicht genügend erforscht worden ist. Betroffen sind meist männliche Jugendliche, die phasenweise unter einem starken Schlafbedürfnis leiden. Zusätzlich treten Störungen der Sexualität und des Appetits, sowie depressive Verstimmungen auf.
Die Krankheit, die auch Dornröschen-Krankheit genannt wird, ist kaum behandelbar und ihre Ursachen weitestgehend ungeklärt.