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Schlafstörungen

Narkolepsie durch Impfung: Wie kam es dazu?

Narkolepsie durch Schweinegrippeimpfung: Ein weltweit erschütterndes Phänomen. metelevan
Siobhan Weiss

Veröffentlicht von Siobhan Weiss am 05.12.2020

Der neue Coronaimpfstoff von Biontech soll schon Ende Dezember in Deutschland für Risikogruppen zugelassen werden. Doch viele sind besorgt, da es keine Prognosen zu möglichen Langzeitfolgen der Impfung gibt. Immer wieder wird als Beispiel einer misslungenen Massenimpfung das vermehrte Auftreten von Narkolepsie nach der Schweinegrippeimpfung 2009 genannt. Was lief damals schief? Kann auch die Coronaimpfung eine Narkolepsie auslösen? Das erfahrt ihr hier.

Narkolepsie

Die Narkolepsie wird im Volksmund auch „Schlafsucht“ genannt. Sie ist eine lebenslange neurologische Erkrankung. Betroffene leiden unter enormer Tagesschläfrigkeit und Halluzinationen beim Einschlafen oder Aufwachen. Außerdem treten häufig Kataplexien auf:

Bei starken Emotionen knicken Patient*innen wortwörtlich die Knie weg.

Knie-, Gesichts- und Nackenmuskulatur erschlaffen plötzlich für kurze Zeit. Außerdem kann eine Narkolepsie zu abnormen Schlafrhythmen und Schlafparalysen führen.

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Schlafparalyse

Ein natürliches Phänomen

Eine Schlafparalyse, oder auch Schlaflähmung ist ein natürliches Phänomen, das wir jede Nacht an uns selber beobachten können: Obwohl wir uns im Traum bewegen, liegen wir ruhig im Bett. Das haben wir unserem Gehirn zu verdanken. Während wir schlafen, hemmt es die Aktivität von Nerven, die Gehirn und Muskeln verbinden. Rennen wir im Traum vor einem Bären davon, leitet es den Befehl „Beine bewegen“ also nicht zum Bein weiter. Wir sind auf gewisse Weise gelähmt.

 

Schlafparalyse bei Narkoleptiker*innen

Im Rahmen einer Schlafparalyse bei Narkoleptiker*innen wird dieser Mechanismus jedoch auch beim Einschlafen und Aufwachen ausgelöst. Die Folge: Betroffene sind wach, können sich aber nicht bewegen…

Ursachen der Narkolepsie

Forschungsteams konnten herausfinden, dass die Konzentration von Orexin, einem unserer Wachheitshormone im Gehirnwasser von Narkoleptiker*innen besonders niedrig ist. Das ergibt Sinn: Wer wenig Wachheitshormon besitzt, ist eher müde.

Doch warum sind die Konzentrationen so gering? Die Antwort fanden die Wissenschaftler*innen in unserem Immunsystem: Der Körper bildet Antikörper gegen die Orexin produzierenden Zellen im Gehirn. Es bekämpft also fälschlicherweise körpereigene Zellen, weil es sie als fremd einstuft. Das nennen wir Autoimmunerkrankung.

Habe ich ein hohes Risiko an Narkolepsie zu erkranken?

Verschiedene Faktoren erhöhen das Risiko an Narkolepsie zu erkranken:

Genetischer Faktor

Etwa 25 Prozent aller Menschen weisen eine bestimmte Genvariante des HLA-Gens auf, das mit einem hohen Risiko assoziiert ist. Dieses Gen beinhaltet die Erbinformation für bestimmte Proteine, die auf unseren Abwehrzellen liegen. Spannend: Das HLA-Gen ist besonders wichtig für CD4 positive T-Lymphozyten. Das sind eben jene Zellen welche bei einer Narkolepsie die Orexin produzierenden Zellen bekämpfen!

Infektionen

Bestimmte Infektionen stehen unter Verdacht, eine Narkolepsie auszulösen. In China konnte zum Beispiel bei Schweinegrippepatient*innen im Nachhinein ein Anstieg der an Narkolepsie Erkrankten festgestellt werden. Ob es aber wirklich einen Zusammenhang gibt und welcher Mechanismus dahinter steckt, konnten Forschende noch nicht herausfinden.

Impfungen

Der Impfstoff Pandemrix, der 2009 in Europa gegen Schweinegrippe verabreicht wurde, erhöht das Risiko an Narkolepsie zu erkranken. Forscher*innen sind sich uneinig, welcher Mechanismus dahintersteckt.

Hier erfahrt ihr mehr zur Narkolepsie.

Narkolepsie durch Schweinegrippeimpfung

Die Schweinegrippepandemie 2009 machte ein zeitnahes Handeln nötig. Immer mehr Menschen erkrankten und ein Sinken der Infektionszahlen versprachen Expert*innen sich durch die Einführung eines Impfstoffes.

Schweden handelte besonders vorbildlich. Hier bat man Massenimpfungen an, um den Großteil der Bevölkerung gegen das bedrohliche Virus zu schützen. Auch in anderen Ländern wurden Impfungen angeboten, doch in keinem anderen Land nahmen so viele Menschen das Angebot in Anspruch.

Leider passierte etwas Unvorhersehbares: Im folgenden Jahr nahm die Zahl der an Narkolepsie erkrankten Schwed*innen stark zu. Normalerweise leiden 20 bis 50 Personen pro 100 000 Einwohner an Narkolepsie. Unter den geimpften erwachsenen Personen war das Risiko zwei bis sieben mal größer. Kinder waren besonders gefährdet: Ihr Risiko stieg um das fünf bis 14-fache!

Wie wirkt der Impfstoff Pandemrix gegen Schweinegrippe?

Pandemrix gehört zu den Spaltvakzinen. Das bedeutet, dass das Virus gespalten wird und nur kleine Anteile injiziert werden:

Die Schweinegrippeviren werden zunächst in bebrüteten Hühnereiern herangezogen. Dann zerstört man sie. Die Viren sind also tot. Verwendet werden nur kleine Bruchteile der Hülle. Das Immunsystem erkennt diese als Eindringlinge und reagiert mit der Produktion von Abwehrzellen gegen die Hüllenteile.

Gelangt nun ein lebendes Virus in den Körper, so ist dieser schon vorbereitet: Das Immunsystem zerstört den Eindringling sofort.

Wirst du gegen Schweinegrippe geimpft, so injiziert dir dein*e Ärzt*in jedoch nicht nur den Schweinegrippeimpfstoff. Zusätzlich wird das Adjuvans ASo3 benötigt.

Was sind Adjuvanzien?

Adjuvans kommt aus dem Lateinischen: Das Verb „adjuvare“ bedeutet „helfen“. Das beschreibt die Funktion eines Adjuvans sehr gut. Es besteht aus verschiedenen Stoffen, die dem eigentlichen Impfwirkstoff helfen, eine ausreichende Immunantwort auszulösen. Dementsprechend sind Adjuvanzien relativ unspezifisch:

Ein Adjuvans kann mit verschiedenen Impfstoffen kombiniert werden.

In einer Pandemie haben Adjuvanzien einen entscheidenden Vorteil: Der Impfwirkstoff löst die Immunantwort nur aus. Für die Power der Immunantwort ist das Adjuvans zuständig.

Dementsprechend reicht nur eine geringe Menge des Impfstoffes aus um für ausreichenden Schutz gegen das Virus zu sorgen. Das spart Geld und innerhalb kurzer Zeit können mehr Menschen geimpft werden.

Warum hat der Schweinegrippeimpfstoff eine Narkolepsie ausgelöst?

Geht es um die Mechanismen, die hinter dem Phänomen stecken, sind Forschende sich uneinig. Anfangs sah man den Übeltäter in dem verwendeten Adjuvans ASo3. Dieses war zur Zeit der Schweinegrippe neu auf dem Markt und relativ unerprobt.

Mittlerweile schließen die meisten Expert*innen ASo3 als Narkolepsieauslöser jedoch aus. Es wurde in Kombination mit mehreren anderen Impfstoffen getestet: Bei keinem der anderen Impfstoffe ist ein vermehrtes Auftreten von Narkolepsie bekannt.

Der Impfstoff Pandemrix selbst muss also Auslöser der Schlafsucht sein.

Höchstwahrscheinlich handelt es sich um eine Fehlfunktion des Immunsystems: Der Orexin-Rezeptor, den das Wachheitshormon zum Wirken benötigt, ähnelt an bestimmten Stellen den geimpften Viruspartikeln. Das Immunsystem erkennt also Orexinrezeptoren als körperfremd an und bekämpft sie genauso wie die Schweinegrippeviren. Der Fachbegriff für diese Fehlerkennung ist molekulares Mimikry.

Die Folge: Der Körper zerstört seine Wachheitsrezeptoren selbst.

Das führt zu den Symptomen der Narkolepsie. Doch eine weitere Frage stellt sich: Orexinrezeptoren sitzen im Gehirn. Die Viruspartikel und Abwehrzellen befinden sich jedoch größtenteils im Blut. So ohne weiteres können sie nicht ins Gehirn gelangen, da die Blut-Hirn-Schranke sie aufhält.

Wisssenschaftler*innen vermuten, dass ein Impfnarkolepsie nur durch ein weiteres Ereignis möglich gemacht werden kann. Dieses Ereignis könnte zum Beispiel eine Infektion oder andere Erkrankung sein, die die Blut-Hirn-Schranke durchlässiger macht.

Kann der Coronaimpfstoff von Biontech eine Narkolepsie auslösen?

Bereits Ende des Jahres werden in Europa erste Risikogruppen mit dem Impfstoff von Biontech BNT162b2 gegen das Coronavirus geimpft. Doch viele Menschen sind wegen der kurzfristigen Zulassung des Impfstoffes besorgt und trauen sich nicht, das Impfangebot anzunehmen.

Besonders Schwed*innen sind misstrauisch. Das ist verständlich: Die Massenimpfungen mit dem Schweinegrippeimpfstoff Pandemrix, haben 2009 in ihrem Land zu einer signifikanten Erhöhung der an Narkolepsie Erkrankten geführt. Nun haben viel große Angst davor, dass sich die Tragödie wiederholt.

Doch wie realistisch ist dieses Szenario? Dass der von Biontech entwickelte Impfstoff eine Narkolepsie auslöst, ist äußerst unwahrscheinlich. Der Coronaimpfstoff BNT162b2 wirkt nämlich auf ganz andere Weise als Pandemrix: Es handelt sich um einen Vertreter aus der Gruppe der mRNA-Impfstoffe.

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mRNA-Impfstoffe

mRNA-Impfstoffe haben einen schlauen Wirkmechanismus: Im Gegensatz zu Totimpfstoffen wie Pandemrix, dem Schweinegrippeimpfstoff, werden keine Virenbestandteile injiziert. Der Wirkstoff beinhaltet lediglich messenger RNA (mRNA).

 

Was ist mRNA?

mRNA ist eine Form des Erbguts, die unser Körper ständig benutzt. Ihre Aufgabe ist es, Kopien von Erbgutabschnitten aus dem Zellkern zu den Ribosomen, den proteinproduzierenden Zellorganellen, zu transportieren. Die mRNA fungiert also gewissermaßen als Bauanleitung für die Proteine unseres Körpers, die von den Ribosomen umgesetzt wird.

 

Wie wirken mRNA-Impfstoffe?

Die mRNA-Impfstoffe enthalten die Bauanleitung für bestimmte Virusanteile. Im Falle vom Impfstoff von Biontech BNT162b2 handelt es sich um Spike-Proteine, die das Virus benötigt um in die Zellen zu gelangen. Nach jener Bauanleitung produzieren unsere körpereigenen Zellen daraufhin diese Spike-Proteine, die typisch für das Coronavirus sind. Das ist aber nicht schlimm: Die kleinen Virusanteile können uns nichts anhaben. Im Gegenteil! Unser Körper erkennt die Spikeproteine sofort als körperfremd und beginnt mit der Produktion von Antikörpern. Gelangen nun echte Viren in unseren Körper, so ist unser Immunsystem schon vorbereitet und kann sie wirksam bekämpfen.

Der Impfstoff BNT162b2 von Biontech ist also ein ganz anderes Medikament als der Schweinegrippeimpfstoff Pandemrix. Dass das nach Anleitung der injizierten mRNA hergestellte Spike-Protein Orexin oder Orexinrezeptoren ähnelt, ist äußert unwahrscheinlich. Ihr müsst euch also keine großen Sorgen machen, durch die Coronaimpfung an Narkolepsie zu erkranken.

Auch mit kurzfristigen schweren Nebenwirkungen ist nicht zu rechnen. Studien zeigen, dass es höchstens zu kleinen Erscheinungen, wie Rötung und Schwellung am Impfeinstich, kommt. Die bis jetzt schlimmste dokumentierte Nebenwirkung des neuen Coronaimpftoffs ist Fieber. Doch das kam nur sehr selten vor.

Der Coronaimpfstoff BNT162b2 von Biontech wird kurzfristig als sehr sicher eingestuft.

Wahr ist aber leider auch: Spät einsetzende Nebenwirkungen des Impfstoffs können noch nicht ausgeschlossen werden. Dazu wären Studien notwendig, die viele Jahre dauern. Diese Zeit bleibt uns aber leider nicht.

Schon jetzt (Dezember 2020) deuten sich schlimme langfristige Nebenwirkungen einer Coronaerkrankung an. Immer häufiger berichten Menschen, die vor Monaten erkrankt sind, von anhaltenden Symptomen wie Geschmacksverlust oder einem starken Gefühl von Erschöpfung. Auch die Zahl Betroffener mit bleibenden Organschäden nimmt zu.

Während langfristige Folgen der Coronainfektion also wahrscheinlich sind, sind sie bei Impfung nur möglich. Ich werde mich daher so früh wie möglich impfen lassen.

Quellenverzeichnis

  • An mRNA Vaccine against SARS-CoV-2 — Preliminary Report Lisa A. Jackson, M.D., M.P.H.,corresponding author Evan J. Anderson, M.D., Nadine G. Rouphael, M.D., Paul C. Roberts, Ph.D., Mamodikoe Makhene, M.D., M.P.H., Rhea N. Coler, Ph.D., Michele P. McCullough, M.P.H., James D. Chappell, M.D., Ph.D., Mark R. Denison, M.D., Laura J. Stevens, M.S., Andrea J. Pruijssers, Ph.D., Adrian McDermott, Ph.D., Britta Flach, Ph.D., Nicole A. Doria-Rose, Ph.D., Kizzmekia S. Corbett, Ph.D., Kaitlyn M. Morabito, Ph.D., Sijy O’Dell, M.S., Stephen D. Schmidt, B.S., Phillip A. Swanson, II, Ph.D., Marcelino Padilla, B.S., John R. Mascola, M.D., Kathleen M. Neuzil, M.D., Hamilton Bennett, M.Sc., Wellington Sun, M.D., Etza Peters, R.N., Mat Makowski, Ph.D., Jim Albert, M.S., Kaitlyn Cross, M.S., Wendy Buchanan, B.S.N., M.S., Rhonda Pikaart-Tautges, B.S., Julie E. Ledgerwood, D.O., Barney S. Graham, M.D., and John H. Beigel, M.D., the mRNA-1273 Study Group
  • Safety and Immunogenicity of Two RNA-Based Covid-19 Vaccine Candidates Edward E Walsh, Robert W Frenck Jr, Ann R Falsey, Nicholas Kitchin, Judith Absalon, Alejandra Gurtman, Stephen Lockhart, Kathleen Neuzil, Mark J Mulligan, Ruth Bail, Kena A Swanson, Ping Li, Kenneth Koury, Warren Kalina, David Cooper, Camila Fontes-Garfias, Pei-Yong Shi, Özlem Türeci, Kristin R Tompkins, Kirsten E Lyke, Vanessa Raabe, Philip R Dormitzer, Kathrin U Jansen, Uğur Şahin, William C Gruber
  • Design und Funktionsweise von mRNA-basierten Impfstoffen zum Schutz vor Infektionskrankheiten Sandro Roier und Benjamin Petsch
  • Incidence of narcolepsy after H1N1 influenza and vaccinations: Systematic review and meta-analysis Tomi O.Sarkanen, Anniina P.E.Alakuijala, Yves A.Dauvilliers, Markku M.Partinen

Siobhan Weiss

Medizinstudentin und Schlafexpertin

Siobhan studiert Medizin und möchte sich später auf Neurologie spezialisieren. Ihr großes Interesse für das Thema Schlaf entwickelte sie, als sie sich im Studium mit der Entwicklung des Gehirns auseinandersetzte. Bei besserschlafen.de ist Siobhan dafür zuständig, komplexe medizinische Inhalte so zu erklären, dass jeder sie verstehen kann. So möchte sie ihre Faszination für den menschlichen Körper mit vielen Menschen teilen. In ihrer Freizeit macht Siobhan viel Sport und schläft auch gerne mal aus.

siobhan@besserschlafen.de